Definition:
Ein Wind, der im Gleichgewicht zwischen Druckgradient- Coriolis-
und Zentrifugalkraft weht, wird als Gradientwind bezeichnet.
Da dieses Gleichgewicht auch als geostrophisch- zyklostrophisches
Gleichgewicht bezeichnet wird, kann der Begriff geostrophisch-zyklostrophischer
Wind äquivalent zum Gradientwind benutzt werden.
Mathematisch ergibt sich der Gradientwind aus der Isogonengleichung.
Links das Kräftegleichgewicht und der resultierende Gradientwind
(schwarzer Pfeil) bei einem normalen Tiefdruckgebiet (Nordhalbkugel)
mit der zum Zentrum zeigenden Druckgradientkraft (PGF) sowie der
rechtsablenkenden Corioliskraft (CF). Mit dem grünen Pfeil
ist hier die Zentripetalkraft (Ce) eingezeichnet, die das exakt
negative der Zentrifugalkraft darstellt und daher auch ins Wirbelzentrum
zeigt. Rechts die umgekehrten Verhältnisse in einem normalen
Hochdruckgebiet der Nordhalbkugel.
Anwendung:
Der Gradientwind weht parallel zu den (gekrümmten)
Isobaren und seine Stärke
ist proportional zum Druckgradienten in Normalenrichtung.
Bis auf die Beschleunigungen infolge tangentialer Druckänderung
wie sie die Isotachengleichung beschreibt,
enthält der Gradientwind keine weiteren Approximationen.
Damit stellt der Gradientwind die beste Approximation des realen
Windes dar, die mit einfachen Möglichkeiten aus aerologischen
Karten sehr gut qualitativ ableitbar ist. Mit einem Gradientwindlineal
sind sogar einigermaßen verlässliche quantitative Bestimmung
möglich.
Lediglich in den gradientschwachen Gebieten, wie z.B. im
Zentrum einer Antizyklone, erweist sich die Gradientwindapproximation
als recht ungenau, da hier die Tangentialbeschleunigungen
überwiegen. Hier werden zumeist isobarenkreuzende Winde registriert.
Interpretation des Gradientwind:
Mit einigen äquivalenten Umformungen erhält man aus
der Isogonengleichung eine quadratische
Gleichung, aus der nun eine allgemeine Lösung für den
Gradientwind aufgestellt werden kann. Da der Krümmungsradius
(der Trajektorie) gleich zweimal in linearer Form darin auftritt
und dieser sowohl positiv (zyklonale Krümmung) als auch negativ
(antizyklonale Krümmung) sein kann, sind statt der üblichen
zwei Lösungen gleich acht mathemtisch sinnvolle Lösungen
möglich. Eine negative Wurzel (komplexe Lösung) sowie
ein negativer Windbetrag werden dabei aus physikalischen Gesichtspunkten
als nicht sinnvolle Lösungen ausgeschlossen, so dass sich
lediglich vier Gradientwindlösungen ergeben.
Dies sind das normale barische Hoch und Tief, die sich
an die Grundsätze des barischen Windgesetzes halten. Hier
weht der Gradientwind als Gleichgewichtswind zwischen großer
Druckgradient- und Corioliskraft sowie der kleinen Zentrifugalkraft.
Zudem gibt es noch das barischen anomale Hoch und das unbarische
anomale Tief. Das anomale barische Hoch ist dabei ebenfalls
unphysikalisch. Mit einer Stabilitätsanalyse lässt sich
schnell zeigen, dass das Kräftegleichgewicht mit einer großen
Corioliskraft, die eine große Zentrifugelakraft und eine
kleine Druckgradientkraft ausgleichen soll, sehr schnell instabil
wird. Das anomale Tief entspricht jedoch einem physikalisch möglichem
Fall. Hier muss allerdings eine große Zentrifugalkraft die
Summe aus Coriolis- und Druckgradientkraft kompensieren. Dies
kann also nur bei sehr kleinräumigen Strömungen (mit
großer Krümmung) mit hohen Windgeschwindigkeiten der
Fall sein. Ist die Corioliskraft vernachlässigbar klein,
so spricht man von einem zyklostrophischen
Gleichgewicht. Selbstverständlich kann auch das barische
Tief bei zu vernachlässigender Corioliskraft zyklostrophisch
werden.
Bedeutung des Grenzkrümmungsradius:
Aus der Gradientwindlösung ist eine für die synoptische
Meteorologie grundlegende Tatsache ableitbar. Die Wurzel bei der
quadratischen Lösung kann nur für negative, d.h. antizyklonale
Krümmungsradien negativ werden und somit eine komplexe (unphysikalische)
Gradientwindlösung ergeben. Im Umkehrschluß heißt
dies, dass nur bei Antizyklonen eine natürliche Grenze
der Krümmung besteht. Es ergibt sich für die mittleren
Breiten ein durchschnittlicher Grenzkrümmungsradius
für Antizyklonen von ca. 400km. Damit erklärt
sich die Tatsache, dass Hochdruckgebiete im Vergleich zu Tiefs
niemals unendlich kleinräumig werden können und ein
Hochdruckorkan daher nicht möglich ist.
Da dieser Grenzkrümmungsradius zudem noch invers vom Coriolisparamter
abhängt, können Antizyklonen in höheren Breiten
kleinräumiger werden als in niedrigen Breiten.
© Marcus Boljahn