Idee:
Bei der Betrachtung isentroper Prozesse
folgen Luftteilchen in der freien Atmosphäre dem Verlauf
der Isentropenflächen. Diese
atmosphärische Zwangsbedingungen reduziert die dreimdimensionale
Luftteilchenbewegung auf eine zweidimensionale Bewegung im Theta-System
mit der potentiellen Temperatur als Ordinate. Die potentielle
Temperatur ist also für isentrope
Prozesse eine individuelle Erhaltungsgröße (isentroper
1. Hauptsatz der Thermodynamik). Neben dieser energetischen Zwangsbedingung
lässt sich aber eine weitere bewegungseinschränkende
Bedingung über die Berücksichtigung der Wirbel finden.
Unter der Benutzung der HELMHOLTZ´schen Wirbelgleichung
sowie des thermodynamischen 1. Hauptsatzes leitete H. ERTEL 1942
eine weitere fundamentale individuelle Erhaltungsgröße
ab, die als ERTEL´sche isentrope potentielle Vorticity,
oder kurz IPV bezeichnet wird. Unter Berücksichtigung dieser
beiden Erhaltungsgrößen reduziert sich die Bewegung
eines Luftteilchens auf eine eindimensionale Bewegung im Theta-IPV-Phasenraum.
In einer reibungsfreien isentropen
Atmosphäre entspricht die Trajektorie eines Luftteilchens
also exakt den Schnittlinien der Isentropen
und den Isolinien gleicher IPV. Einfacher ausgedrückt, auf
einer Theta-Fläche verlaufen isentrope Bewegungen exakt
parallel zu den Isolinien der IPV.
Defintion:
Das Skalarprodukt aus absolutem Wirbelvektor und dem Gradient
der potentiellen Temperatur ist für eine isentrope
Bewegung konservativ. Multipliziert mit dem Quotienten aus Schwerebeschleunigung
und Luftdichte ergibt sich die isentrope potentielle Vorticity
(IPV) als individuelle Erhaltungsgröße.
Die IPV ist sogar im nicht-hydrostatischen Fall eine Erhaltungsgröße,
denn bei der Hrleitung der IPV wurde nicht die hydrostatische
Annahme benötigt.
Unter Vernachlässigung der Neigung der Thetaflächen
vereinfacht sich die IPV in guter Näherung zum Produkt
aus absoluter Vorticity und
vertikaler Schichtung.
Atmosphärische Verteilung:
Mit zunehmender Stabilität, ergeben sich per Definition
natürlich auch höhere Werte der IPV. Demzufolge
finden sich bei einem Vertikalschnitt die höchsten Werte
stets in der sehr stabilen Stratosphäre. Im Gebiet der polaren
Frontalzone weist die geneigte Tropopause
oftmals eine Bruchstelle auf. Handelt es sich um eine Katafront,
so kann niederstratosphärische Luft mit hohen IPV-Werte bis
in die Troposphäre gelangen. Eine solche IPV-Anomalie kann
unter gewissen Umständen Zyklogenese
begünstigen. Erkennbar sind solche Dry Intrusions an besonders
trockenen Gebieten auf Wasserdampfbildern.
Besonders eindrucksvoll ist jedoch die horizontale Verteilung
der IPV, die auf der unteren Karte wiedergegeben ist. Die
nordhemisphärische Abbildung zeigt ein dipolartigen Polarwirbel
in der mittleren Stratosphäre (475K) zu Winterbeginn. Keine
diabatischen Prozesse vorausgesetzt,
erfolgt eine Strömung nun parallel zu den Isolinien der IPV.
Den Fall eines geschlossenen, aber verschobenen Polarwirbels zeigt
diese Abbildung.
.
Anschauung:
1.) Vorticityänderung durch Isentrope
Vergenz bei Stauchung/Streckung
Die IPV stellt im Prinzip die Wirbelerhaltungsgröße
für die barokline Atmosphäre dar. Während im barotropen
(und divergenzfreien) Fall die absolute
Vorticity allein schon erhalten bleibt, so ergibt sich durch
die realistischere Betrachtung unter Hinzunahme barokliner (aber
trotzdem noch isentroper) Prozesse
die Erhaltung der IPV. Im Prinzip bedeutet das gegenüber
dem barotropen Fall eine zusätzliche Korrektur durch die
vertikale Mächtigkeit einer betrachteten Schicht.
Konkret heißt das für die Interpretation der IPV, dass
eine Erhöhung der absoluten
Vorticity mit einer Vergrößerung der Schichtdicke
zwischen zwei isentropen Flächen
(also mit einer Abnahme der vertikalen
Stabilität) einhergeht. Anschaulich erfolgt also ein
vertikales Strecken der Luftsäule, das mit Labilisierung
und Zunahme der absoluten Vorticity
gekoppelt ist. Man bezeichnet diesen Vorgang auch als (horizontale)
isentrope Konvergenz.
Im umgekehrten Fall der (horizontalen) isentropen
Divergenz nimmt in Folge der vertikalen Stauchung der Luftsäule
die absolute Vorticity ab.
Ebenso verringert sich die Schichtdicke, was zu einer Stabilisierung
der vertikalen Schichtung führt.
Da es sich bei der IPV um eine individuelle Erhaltungsgröße
handelt gilt auch die Umkehrung dieser Zusammenhänge. Gelangt
die Strömung in eine stabile Drängungszone der Isentropen,
so gewinnt die sie durch die isentrope Divergenz antizyklonale
Vorticity. Ebenso wird zyklonale Vorticity produziert, wenn eine
Strömung in ein Gebiet mit größerer Schichtdicke
gelangt (isentrope Konvergenz).
2.) Änderung der relativen Vorticity bei meridionalen
Strömungen im barotropen Fall
Unter der Annahme konstanter Schichtsverhältnisse ändert
sich bei meridionalen Strömungen die relative Vorticity "auf
Kosten" der Erdvorticity.
Dieser Vorgang entspricht der barotropen (divergenzfreien) Vorticitygleichung
und damit der Erhaltung der absoluten
Vorticity.
Da die Erdvorticity am Äquator
verschwindet, aber die Summe aus Erd- und relativer Vorticity
im barotropen Fall konstant bleiben soll, verringert sich bei
polwärtigen Strömungen die zyklonale Vorticity in dem
Maße, wie sich die Erdvorticity erhöht. Umgekehrt verringert
sich natürlich die zyklonale Vorticity bei äquatorwärtigen
Strömungen.
3.) Meridionale Strömungen im baroklinen (isentropen)
Fall
Besonders interessante Ergebnisse erhält man, wenn man Meridionalbewegungen
im baroklinen Fall untersucht. Hierbei ergeben sich unter Erhaltung
der IPV interessante Wechselwirkungen zwischen Vorticity und Schichtdicke.
Ohne Beschränkung der Allgemeinheit wird im folgenden jeweils
nur die Wirkung der Krümmungsvorticity beachtet.
Zuerst wird der Einfachheit halber der Fall einer krümmungsfreien
meridionalen Strömung (also relative Vorticity = 0) betrachtet.
Hier verringert sich bei einer äquatorwärtigen Meridionalströmung
die Erdvorticity und damit auch die Schichtdicke, während
sich bei polwärtigen krümmungsfreien Meridionalströmungen
die Erdvorticity und Schichtdicke erhöhen, damit die IPV
konstant bleibt. Nach der hydrostatischen Grundgleichung geht
mit der Verringerung der Schichtdicke (und damit einer Stauchung
bzw. Kompression der Luftsäule) auch eine adiabatische
Erwärmung in der Größenordnung des individuellen
vertikalen isentropen Temperaturgradienten einher, so dass
Luftpakete mit krümmungsfreier Bewegungen in Richtung Äquator
erwärmt werden. Polwärtige Strömungen werden bei
vertikaler Streckung der Luftsäule (Kontraktion) natürlich
entsprechend abgekühlt. Insgesamt ist die äquatorwärtige
krümmungsfreie Strömung also schwach (horizontal isentrop)
divergent und die polwärtige Strömung entsprechend schwach
(horizontal isentrop) konvergent.
Als zweiten Fall ist es sinnvoll, Meridionalbewegungen bei konstanter
absoluter Vorticity zu untersuchen. Um die absolute Vorticity
konstant zu halten, muss bei äquatorwärtigen Strömungen
die relative Vorticity stetig zunehmen, während sie bei polwärtigen
Strömungen stetig antizyklonaler wird. Durch diesen Effekt
der stetig wachsenden relativen Vorticity erhalten die Meridionalströmungen
mit zunehmender Entfernung vom Ausgangspunkt eine immer stärker
werdende rücktreibende Krümmung. Dadurch wird
die Strömung mehr und mehr zonal. Da die absolute Vorticity
ja nach Voraussetzung auf solch einer Trajektorie konstant bleiben
soll, ändert sich auch die Schichtdicke nicht, so dass diese
meridionale Strömungen dieser Art komplett vergenzfrei
ablaufen.
Mit der Kenntnis dieser beiden Fälle, lassen sich nun alle
weiteren Möglichkeiten meridionaler Strömungen im baroklinen
Fall durchdiskutieren. Allgemein gültig lässt sich ableiten,
dass äquatorwärts strömende Polarluft ihre vertikale
Mächtigkeit nur bei zyklonaler Bahn behalten kann, ehe sie
recht rasch wieder in Richtung Pol "umbiegt". Daher
erklärt sich auch, warum hochreichende Kaltluft in niedrigen
Breiten immer sehr hohe Werte an zyklonaler Vorticity besitzt
und meist mit gut ausgeprägten Höhenwirbeln beobachtet
wird. Durchläuft die Polarluft dagegen indifferente oder
gar antizyklonale Bahnen (isentrope Divergenz) in Richtung Äquator,
so wird sie sehr schnell komprimiert und erwärmt. Anschaulich
bedeudet das aber auch, dass Kaltluft vor allem auf der zyklonalen
Seite des Jetstreams niedrigere Breiten
erreichen kann.
Die komplett inversen Verhältnisse ergeben sich folgerichtig
für polwärts strömende Warmluft. Diese erhält
bei indifferenten, aber vor allem bei antizyklonalen Bahnkurven
(isentrope Konvergenz) ihre thermischen Eigenschaften und vertikale
Ausdehnung. Demnach weist hochreichende Warmluft
in hohen Breiten große Werte an antizyklonaler Vorticity
auf. Demzufolge kann Warmluft besonders effektiv auf der antizyklonalen
Seite des Jetstreams polwärtig
vorankommen.
Anwendung & Beispiele:
Bekanntestes Beispiel, wo der Erhaltungssatz der IPV Anwendung
findet, ist sicherlich bei der Überströmung von Gebirgen.
Bei den überwiegend zonal ausgerichteten Strömungen
sind es vor allem die in Nord-Süd-Richtung ausgebildeten
Hochgebirge, die nachhaltigen Einfluss auf die hemisphärische
Zirkulation ausüben.
Bei der Anströmung eines Gebirges (Luvseite) wird die Luftsäule
gestaucht und damit die Schichtdicke verringert. Folglich wird
nach IPV-Erhaltung antizyklonale Vorticity (isentrope Divergenz)
produziert, so dass sich eine Keil ausbildet. Auf der Leeseite
des überströmten Gebirges kommt es dann zur Expansion,
welche mit Vorticityproduktion (isentrope Konvergenz) und der
Bildung einer Leewelle einhergeht. Dieser Vorgang wirkt auf der
Leeseite natürlich durch die resultierenden Vertikalbewegungen
zyklogenetisch und bei besonders
heftigen Überströmungen enstehen dadurch Leezyklonen.
Auf der Nordhemisphäre kommt es vor allem im Winter bei voller
Anströmung durch den weit nach Süden verschobenen Jetstream
infolge der günstigen Anordnung von Rocky Mountains, Ural
und Ostsibirischem Bergland oftmals zur Ausbildung stationärer
Tröge und Keile der Wellenzahl 3. Auf klimatologischen
Karten ist es vor allem der Leeseitentrog der Rocky Mountains,
der auch hier ersichtlich bleibt. Durch die Trogbildung wird oftmals
auch eine Zyklogenese in Gang gesetzt,
die als Leezyklogenese bezeichnet wird. Für Mitteleuropa
besonders interessant ist die Anströmung der Alpen. Durch
die fast zonale Anordnung des höchsten europäischen
Gebirges, sind es aber eher die meridionalen Strömungen,
die Leezyklogenese auslösen können. Bekanntestes Beispiel
ist hier die Genuazyklogenese, die bei einer Überströmung
der Alpen von Nordwesten her induziert werden kann.
Auf
der Abbildung ist im Lee der sehr stark angeströmten Rocky
Mountains ein Leeseitentrog zu erkennen, der allerdings recht
kurzwellig ist. Auch der durch isentrope Divergenz entstandene
Luvseitenkeil direkt über der Gebirgskette ist zu erkennen.
Ein zweites Beispiel zeigt sich bei hochreichenden Wirbeln.
Die enorm aufsteigenden Luftmassen werden in der Nähe der
stabilen Tropopause zunehmend komprimiert, so dass auch hier die
Prozesse der isentropen Divergenz mit Produktion antizyklonaler
Vorticity ablaufen, während am Boden durch die reibungsbedingte
(isentrope) Konvergenz fortlaufend zyklonale Vorticity produziert
wird. Vor allem in der Höhe ist dann ein antizyklonales Ausströmen
des Cirrusschirmes keine Seltenheit.
Insbesondere bei den hochreichenden tropischen Hurricanes ist
ein antizyklonaler oberer Outflow stets zu beobachten.
Bedeutung:
Die Bedeutung der IPV wurde erst recht spät nach ihrer eigentlichen
Entdeckung gewürdigt. Mitte der 80´er Jahre erlebte
das sogenannte PV-Thinking eine Art Renaissance, als es
computertechnisch möglich wurde, Karten für isentrope
Flächen zu erstellen.
Betrachtungen anhand der IPV gehören zum aktuellen Forschungsstoff.
Mit Hilfe der Energie-Wirbel-Theorie konnte beispielsweise P.
NÉVIR eine allgemeine stationäre Winddarstellung
ableiten, die strukturell stark an den geostrophischen Wind erinnert.
Statt dem Reziproken der Erdvorticity fungiert hier nun das Reziproke
der IPV als Proportionalitätsfaktor. Darüber hinaus
wird die Richtung nun über das Kreuzprodukt aus Isentropengradient
und Gradient der Bernoullifunktion gebildet.
© Marcus Boljahn