Glossar

 

Die prognostische Geopotentialtendenzgleichung
 


Grundidee:


Die quasigeostrophische Theorie liefert zwei fundamentale Gleichungen zur Beschreibung der Vorgänge in der freien Atmosphäre für die synoptischen Skala. Neben der diagnostischen Omegagleichung ist dies die prognostische Geopotentialtendenzgleichung. Mit Hilfe dieser partiellen Differentialgleichung lassen sich allein aus der Kenntnis des aktuellen Geopotentialfeldes Aussagen über die lokalzeitliche Änderung dieses Feldes, also über die Prognose, gewinnen.

Geopotentialtendenzgleichung für die freie Atmosphäre:

Die Herleitung der Geopotentialtendenzgleichung für die freie, d.h. adiabatische, trockene und reibungsfreie, Atmosphäre ergibt zwei Antriebsterme, die prognostische Aussagen über das Geopotentialfeld liefern. Dabei ist der erste Term mit der negativen (geostrophischen) Advektion der (geostrophischen) Vorticity (-VA) ein rein barotroper Effekt.
Der zweite Antriebsterm ist dagegen barokliner Natur und beinhaltet die negative differentielle (geostrophische) Advektion der Schichtdicke.
Die Schichtdicke im p-System ist, wie sich mit Hilfe der hydrostatischen Grundgleichung leicht zeigen lässt, direkt proportional zur Temperatur, so dass beim zweiten Term aus anschaulichen Gründen zumeist von der negativen differentiellen (geostrophischen) Temperaturadvektion (-DTA) geredet wird.
Da bei der QG-Approximation bereits erwähnt wurde, dass sämtliche Advektionen geostrophischer Natur sind, wird im folgenden dies nicht jedesmal explizit angeführt.
Daher gilt für die freie Atmosphäre: Geopotentialtendenz = -VA - DTA

Erweiterung der prognostischen Geopotentialtendenzgleichung für Diabasie und Reibung

-VA und -DTA sind in der freien Atmosphäre wie Scale-Analysen zeigen die dominierenden Faktoren zur Prognose des Geopotentialfeldes. Will man das QG-Konzept allerdings auch auf synoptisch-skalige Grenzschichtprozesse anwenden, so bekommt die Reibung eine zunehmende Bedeutung.
Ebenfalls wurden bis dato diabatische Prozesse (z.B. Strahlung, Freiwerden latenter Wärme) nicht berücksichtigt. Beide Prozesse ergeben nun zwei zusätzliche barokline Antriebsterme in der prognostischen Geopotentialtendenzgleichung.
Dies ist zum einen das Produkt aus turbulentem Viskositätskoeffizient und relativer (geostrophischer) Vorticity (R) und zum anderen der negative differentielle diabatische Antriebsterm (DDA).
Für die diabatische, reibungsbehaftete Atmosphäre gilt daher:
Geopotentialtendenz = -VA - DTA + R - DDA

Interpretation der Antriebsterme:

Im folgenden werden die Antriebsterme einzeln diskutiert, in der Annahme sie würden alleine wirken. Dies passiert natürlich in der Natur in dieser Form nicht, zumal alle Antriebsterme (durch eine barokline Sekundärzirkulation) untereinander wechselwirken. Dennoch ist es sinnvoll, um die Wirkung jedes Terms besser zu verstehen. Insbesondere die Interpretation der barotropen VA ergibt interessante Aspekte der ROSSBY-Wellentheorie.

Interpretation (negative) barotrope Vorticityadvektion (-VA):

Die barotrope -VA beschreibt die (geostrophische) Advektion der absoluten (geostrophischen) Vorticity.
Als erstes einfaches Ergebnis ergibt sich damit ein Geopotentialfall bei zyklonaler Vorticityadvektion (ZVA), welche auf der Nordhemisphäre ein positives Vorzeichen besitzt (PVA). Umgekehrt kommt es zu einem Geopotentialanstieg bei antizyklonaler Vorticityadvektion (AVA).

Die absolute Vorticity ist bekanntlich die Summe aus Erdvorticity und relativer Vorticity, so dass gilt: absolute Vorticityadvektion = Erdvorticityadvektion + relative Vorticityadvektion (VA=EVA+RVA).

Mit Hilfe dieser beiden Ergebnisse lassen sich für ein einfaches barotropes Wellenregime damit bereits dessen Verlagerung im Sinne der ROSSBY-Theorie erklären.
Betrachten wir zunächst lediglich die relative Vorticityadvektion (RVA) in einer wellenden, aber nicht scherenden atmosphärischen Welle. Durch das Fehlen von Scherung vereinfacht erhält die RVA lediglich einen Beitrag durch die Krümmung der Stromlinien. Somit wird ersichtlich, dass auf der Vorderseite eines Troges maximale zyklonale RVA (ZRVA) herrscht, während sich das Gebiet maximaler antizyklonaler RVA (ARVA) auf der Vorderseite des nachfolgenden Keils befindet. Folglich fällt das Geopotential auf der Trogvorderseite maximal und steigt dagegen auf der Keilvorderseite maximal an. Sowohl Geopotentialminimum (das Trogzentrum) als auch Geopotentialmaximum (Keilzentrum) verschieben sich also nach Osten. Anschaulich ergibt sich daraus die progressive Verlagerung der (barotropen) ROSSBY-Welle. Allerdings ergeben sich durch die barotrope VA keine Änderung in den Geopotentialmaxima- bzw. minima selbst, d.h. es erfolgt keine Verstärkung oder Abschwächung der Welle, sondern nur das progressive Wandern mit konstanter Amplitude.

Betrachten wir nun noch den Effekt der barotropen Erdvorticityadvektion (EVA). Lange atmosphärische Wellen weisen im Normalfall eine weitaus geringere Krümmung auf als kurze Wellen. Zudem ist eine größere Amplitude bei größerer Wellenlänge ebenfalls sehr wahrscheinlich, so dass bei langen Wellen die meridionale Strömungskomponente gegenüber der zonalen Komponente an Bedeutung gewinnt. Da die Erdvorticity eine rein breitenkreisabhängige Größe (Äquator f=0, Nordpol f=maximal, Südpol f=minimal) ist, sind für die EVA folglich nur die meriodionalen Strömungskomponenten von Bedeutung. Die zonale EVA ist immer identisch null. Dementsprechend wird auf der Trogvorderseite stets negative (also per Definition antizyklonale) Erdvorticity advehiert und umgekehrt ist auf der Keilvorderseite positive (zyklonale) Erdvorticityadvektion. EVA wirkt also stets kompensatorisch zur RVA. Bei langen Wellen mit geringer Krümmung und signifikanter meridionaler Strömungskomponente ist es nun ebenfalls möglich, dass EVA die RVA komplett egalisiert, so dass einer stationäre Welle (keine Verlagerung) entsteht. Kommt es zur Überkompensation der RVA durch die EVA, so entseht eine (barotrope) retrograde Welle.

Anmerkung 1:
Da sich auf der Südhemisphäre die Vorzeichen der VA umkehren, ist es allgemein sinnvoller zyklonale VA (ZVA) bzw. antizyklonale VA (AVA) statt PVA/NVA zu verwenden. ZVA und AVA beschreiben in beiden Hemisphären den gleichen physikalischen Prozess, währenddessen beispielsweise PVA auf der Südhemisphäre ein Absinken zur Folge hat.

Anmerkung 2:
Bei der alleinigen Betrachtung von -VA ergibt sich mathematisch aus der Geopotentialtendenzgleichung eine proportionale Formulierung zur barotropen Vorticitygleichung. Dies wird offensichtlich, wenn man sich daran erinnert, dass das Laplace des Geopotentials proportional zum negativen Geopotential selbst ist. Und aus dem Laplace des Geopotentials lässt sich wieder direkt die geostrophische relative Vorticity bestimmen.

Interpretation (negative) differentielle Temperaturadvektion (-DTA):

In vielen Lehrbüchern wird im Zusammenhang mit der Geopotentialtendenzgleichung oftmals nur von der Temperaturadvektion (TA) als zweiten Antriebsterm gesprochen. Dies ist qualitativ auch richtig, denn -DTA ist direkt proportional zu TA. Vergleicht man ein Boden-Temperaturfeld mit einem T-feld in 850 hPa und anschließend noch mit einem T-Feld in 500 hPa, so ist die abnehmende Drängung der Isothermen mit der Höhe in aller Regel offensichtlich. Dies wird auch verständlich, wenn man berücksichtigt, dass durch die Reibungskräfte der Grenzschicht das Temperaturfeld stark deformiert werden kann. Dies wirkt frontogenetisch, also Temperaturgradient-verstärkend. Somit wird anschaulich klar, dass der horizontale Temperaturgradient mit der Höhe abnimmt. Nun wird die Advektion einer Größe (in dem Fall der Temperatur) bekanntlich aus dem Skalarprodukt des Gradienten (in dem Fall des Temperaturgradienten) und der Windgeschwindigkeit (in dem Fall dem geostrophischen Wind, da in der QG-Theorie alle Advektionen geostrophisch approximiert werden) gebildet. Der geostrophische Wind nimmt aber mit der Höhe zu, so dass dieser Term in der TA dem abnehmenden Temperaturgradienten genau entgegenwirkt.
Dies macht deutlich, dass die Annahme TA~-DTA nicht so trivial ist, wie oftmals dargestellt. Erst mit Hilfe einer Scale-Analyse lässt sich zeigen, dass im Mittel die Abnahme des Temperaturgradienten gegenüber der gleichzeitigen Zunahme des geostrophischen Windes mit der Höhe überwiegt. Demzufolge gilt die direkte Proportionalität zwischen -DTA und TA, was die Interpretation dieses Antriebsterms weitaus anschaulicher macht. Überdies bleibt natürlich auch bei der TA der barokline Charakter der -DTA erhalten.
Positive TA (analog natürlich auch WLA oder PSA) ist daher ein Antrieb für Geopotentialanstieg. Umgekehrt verursacht negative TA (KLA oder NSA) einen Geopotentialfall.
Natürlich lässt sich alles auch mathematisch korrekt mit der DTA erklären, auch wenn darunter ein wenig die Anschaulichkeit leidet. So führt also eine mit der Höhe zunehmende TA zu einem Geopotentialfall, während eine mit der Höhe abnehmende TA einen Anstieg des Geopotentials zur Folge hat. Etwas anschaulicher bedeutet das bei KLA in tiefen Schichten das Geopotential fällt und bei WLA in tiefen Schichten ein Anstieg des Geopotentials zu beobachten ist, was identisch mit der weiter oben gewonnen Aussage ist unter der Annahme TA~-DTA.
Ein weiterer sehr interessanter Aspekt ergibt sich zudem, wenn man bei der Interpretation den Fall einer Phasenverschiebung zwischen Temperatur- und Geopotentialwelle berücksichtigt. Mit Hilfe der ROSSBY´schen Wellentheorie lässt sich zeigen, dass bei einer atmosphärischen Welle, deren Phasengeschwindigkeit der Geschwindigkeit des zonalen Grundstroms sehr nahe kommt, die Temperaturwelle um bis zu 90° stromabwärts phasenverschoben auftreten kann. Dies ist insbesondere bei Kurzwellentrögen der Fall, die sich rasch progressiv verlagern können.
Im Trogzentrum einer solchen Wellen befindet sich daher folglich das Gebiet stärkster negativer TA. Umgekehrt heißt das natürlich auch maximale positive TA für das Zentrum des Keils. Somit erfolgt im Gebiet des ohnehin schon geringsten Geopotentials (Trogzentrum) auch noch zusätzlicher Geopotentialfall und für das Keilzenzentrum folgt ein Anstieg des Geopotentials, so dass durch diese Instabilität eine Amplifizierung der Tröge und Keile forciert wird. Dies ist der Prozeß der baroklinen Instablität. Die Atmosphäre antwortet allerdings über eine barokline Sekundärzirkulation, die stabilisierend wirkt.

Interpretation Reibung (R):

In der Annahme eines konstanten turbulenten Viskositätsparameters wirkt Reibung stets Vorticity-abbauend. Durch den in Anmerkung 2 bereits erwähnten Zusammenhang zwischen geostrophischer Vorticity, Geopotential und Laplace des Geopotentials ergibt sich in Regionen zyklonaler Vorticity ein ansteigendes Geopotential durch den Reibungseinfluß. Bei antizyklonaler Vorticity wird durch Reibung ein Geopotentialfall verursacht.

Interpretation (negativer) Differentieller Diabatischer Antrieb (-DDA):

Die Wirkungsweise von -DDA kann physikalisch analog zu -DTA diskutiert werden. Eine diabatische Abkühlung in tiefen Schichten (z.B. durch massive Ausstrahlung und/oder turbulenten Wärmefluss durch eine kalte Oberfläche und/oder Verdunstung) sorgt ebenso wie ein Freiwerden latenter Wärme in höheren Schichten für einen positiven DDA und damit für Geopotentialfall. Umgekehrt löst eine diabatische Erwärmung in tiefen Niveaus (z.B. durch hohe Einstrahlung und/oder turbulenten Wärmefluss einer warmen Oberfläche) sowie das Freiwerden latenter Wärme ebenfalls in tiefen Schichten einen negativen DDA aus, der das Geopotential ansteigen lässt.

Wechselwirkung der Antriebsterme:
Im Gegensatz zur Omegagleichung, wo die Antriebsterme oftmals kompensatorisch wechselwirken, beobachtet man bei der Geopotentialtendenzgleichung häufig additive Wechselwirkung der Antriebsterme. Dieser als barokline Instabilität bezeichneter Prozeß ist ursächlich für das Anwachsen der Keile und Tröge. Analog dem aus der Chemie bekannten Prinzip von Lé Chatelier reagiert die Atmosphäre instantan auf diese Störung mit einer baroklinen Sekundärzirkulation, die dieser Instabilität entgegenwirkt.

Weiterentwicklung der Geopotentialtendenzgleichung:

Mit einigen geschickten mathematischen Kniffen ist es möglich die Geopotentialtendenzgleichung so umzuformen, dass eine individuelle Erhaltungsgröße entsteht. Diese wird Quasigeostrophische potentielle oder auch pseudopotentielle Vorticity genannt und bleibt für jede geostrophische, reibungsfreie und adiabatische Strömung individuell erhalten. Die Quasigeostrophische potentielle Vorticity (QPV) ist die Summe aus absoluter geostrophischer Vorticity und der differentiellen Schichtdickenadvektion (multipliziert mit dem als konstant approximierten Coriolisparameter und dem inversen des Stabilitätsmaßes). Die QPV ist somit eine hydro-thermodynamische Erhältungsgröße für geostrophische Strömungen.

Verallgemeinerung nach NÈVIR

Unter Benutzung des "gedehnten" Operators hat P. NÈVIR (1998) auch für die Geopotentialtendenzgleichung eine nützliche neue Schreibweise herleiten können, deren Vorteil darin besteht, nur ein Spezialfall der allgemeinen quasigeostrophischen dreidimensionalen NÈVIR´schen Vektorgleichung zu sein.

© Marcus Boljahn

 back to top

copyright by www.diplomet.info